Grußwort von Pater Dr. Anselm Grün
In der Hansestadt Wismar
beginnt die Ausstellung „Die Betenden“.
In einer Gegend, in der viele Menschen den christlichen Kirchen entfremdet
sind, sollen die 12 Stelen mit Bildern von betenden Menschen die Beschauer
einladen, ihrer eigenen Sehnsucht zu trauen. Denn ganz gleich, wie unsere
religiöse Herkunft und Bildung war und ist, in jedem von uns steckt die
Sehnsucht nach Gebet, die Sehnsucht, sich mit dem, was das Herz bewegt, an den wenden zu können, der der Ursprung von allem ist. Beten – so sagt die Tradition – ist Atmen der Seele.
Bei allem, was uns beschäftigt, Arbeit und Vergnügen, das Miteinander in derPartnerschaft, der Nachbarschaft und der Gemeinden, in denen wir stehen und arbeiten, meldet sich immer wieder auch die Seele zu Wort. Die Seele – das ist die tiefe Ahnung unseres Herzens, dass es mehr geben muss als Geld und Macht und Anerkennung. Es ist die Ahnung, dass auf dem Grund unserer Seele ein goldener Glanz leuchtet, in dem sich unsere göttliche Würde widerspiegelt. Im Beten – so sagt uns Jesus im Gleichnis von der Witwe, die gegenüber dem inneren Richter um ihr Recht kämpft – bekommt die Seele Recht. Da spüren wir, wer wir eigentlich sind. Da erkennen wir unseren göttlichen Glanz.
So wünsche ich der Ausstellung „Die Betenden“ von Herzen, dass die Besucher die Bilder so anschauen, dass sie sich in ihre Seele einbilden. Die Bilder der Ausstellung wollen die Beschauer in Berührung bringen mit dem ursprünglichen Bild, das jeder von Gott her in sich trägt. Jeder Mensch ist ein einmaliges Bild Gottes. Doch dieses Bild Gottes in uns ist oft genug verdunkelt von den Bildern und Erwartungen, die andere uns überstülpen, oder von den Bildern unserer Selbstüberschätzung oder Selbstentwertung. Wenn wir im Schauen auf die Bilder mit dem einmaligen Bild Gottes in uns in Berührung kommen, dann blüht unser Leben auf. Und wir werden nicht nur den Segen des Schauen und Betens erfahren, sondern auch selbst zum Segen werden für andere. So wünsche ich, dass Gottes Segen diese Ausstellung begleitet und den Besuchern diesen Segen vermittelt als einen wärmenden und schützenden Mantel, der sie in den Turbulenzen ihres Lebens begleitet und ihnen überall, wo sie sind, Geborgenheit und Heimat schenkt.
Anselm Grün